Neuerlich ein Roman über die kleinen Leute, die das Leben zu meistern versuchen. (DR) Schauplatz ist das Wien der 1960er-Jahre. Die Leser*innen begleiten den Anfang 30-jährigen Gelegenheitsarbeiter Robert Simon. Er beschließt, ein verfallenes Café im verarmten Karmeliterviertel zu übernehmen, obwohl er mit dem Verlauf seines bisherigen Lebens zufrieden ist. Doch die Aufbruchsstimmung, die 20 Jahre nach dem Krieg in Wien herrscht, weckt in ihm die Sehnsucht, etwas Neues zu beginnen. Im Café treffen interessante Menschen unterschiedlichster Art aufeinander: der Fleischermeister, der Ringer und viele andere, die alle prägende Geschichten mitbringen. Simon ist dabei ein stiller Beobachter. Die Tage ziehen am Gastronomen und seiner Gehilfin Mila vorbei, mitsamt Schicksalsschlägen und Glücksmomenten. Seethaler zeigt ein gut austariertes Gespür, an der Oberfläche der bewegenden Geschichten zu kratzen, und so kann es auch geschehen, dass angefangene Handlungsstränge nicht zu Ende erzählt werden. Die Sprache changiert zwischen Realismus und Sentimentalität. Historisches Wissen zur Stadtentwicklung wird gleich mitgeliefert, indem wir erfahren, dass die U-Bahn gebaut wird, erste Hochhäuser in den Himmel ragen und die Supermärkte zunehmend den Markthändlern und dem Fleischer zu schaffen machen. Der Roman illustriert einfühlsam, wie der Wandel den Menschen erfasst und wie dieser mit ihm umzugehen vermag. Ein lesenswerter Schmöcker, der genau hinschaut, begleitet, um dann wiederum Abstand zu gewinnen – eine Wiener Humankollage vergangener Tage.
Personen: Seethaler, Robert
Seeth
Seethaler, Robert:
¬Das¬ Café ohne Namen / Robert Seethaler. - Düsseldorf : Classen, 2023. - 283 Seiten
ISBN 978-3-546-10032-8 Festeinband : 24,00 EUR
Schöne Literatur - Buch