"Am 8. Jänner 1990 wurde ich vom Fahrstuhl auf der vierundvierzigsten Etage des Yumimoto-Gebäudes ausgespien. Das Fenster am Ende des Flurs saugte mich an, wie es das zerbrochene Fenster eines Flugzeugs getan hätte. Fern, sehr fern lag die Stadt - so fern, dass ich kaum glauben konnte, sie je betreten zu haben". So beginnt für eine junge Belgierin eine Karriere, die sie sich selbst wohl auch anders vorgestellt hat. Wie verhält sich eine Europäerin in Japan? Wie verhält sich eine junge, emanzipierte Akademikerin in einem männerdominierten Konzern? Die Kurzantwort wäre: schweigen, lächeln, nicht wundern. Aber diese Kurzformel brächte Sie um ein amüsantes Lesevergnügen, welches Sie sich keinesfalls entgehen lassen sollten. Mit Klarsicht und Humor entlarvt die junge Autorin die Absurdität unseres Wirtschaftssystems, die unüberwindbaren Hierarchien männlicher Macht und einen unserer Kultur sehr fremden Ehrenkodex. Aus Neugier und Abenteuerlust verpflichtet sich die frischgebackene Universitätsabsolventin 365 Tage lang beim japanischen Konzern Yumimoto zu arbeiten. Nennen wir diese junge Frau der Einfachheit halber Amélie. Das scheint auch nicht sehr konstruiert, da die Autorin Amélie Nothomb viele Gemeinsamkeiten mit der Protagonistin des Buches hat. In Kobe geboren, hat sie ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines Diplomaten in Japan und China verbracht. Vertraut mit der japanischen Mentalität läßt die Autorin Amélie , ausgestattet mit einer großen Portion europäischer Ironie, ein Jahr lang durch den Konzern schweifen und letztlich als Aufseherin auf der Toilette enden. Alles was die junge Frau in die Hand nimmt, scheint sie zu verpatzen, wo sie nach Nähe und Freundschaft sucht, wird sie auf Distanz gehalten, wo sie ihre speziellen Fähigkeiten einsetzt, wird sie als aufdringlich empfunden, wo sie menschliches Mitgefühl zeigt, wird sie zurückgestoßen. Wo immer sie die uns anerzogenen Regeln der Solidarität und der Zivilcourage beherzigt und einsetzt, wird sie zurückgewiesen und immer mehr zur Außenseiterin. Dank ihrer frechen und subversiven Gedankenkapriolen geht Amélie aus diesen Situationen weder gedemütigt noch untertänig hervor, sondern immer nur ein bisschen weiser. Gabriele Frittum *Sz* Februar 2001
Personen: Nothomb, Amelie
DR.G Not
Nothomb, Amelie:
Mit Staunen und Zittern : Roman / Amelie Nothomb. - Zürich : Diogenes, 2000. - 159 S.
ISBN 978-3-257-06250-2
Gesellschaftsroman/ Liebesroman - Buch